KN (INKIEL) vom 05. September 2008
Kielbesuch
Besuch hat sich angekündigt. Ein Freund aus Jugendtagen, der schon seit Jahren davon redet, dass er mal bei dem Kieler Jungen vorbeischauen möchte. Ernst genommen habe ich das nie. Doch nun kommt er wirklich und hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er meine Schwärmereien von Kiel auf die Probe stellen möchte. Doch der Freund ist sehr anspruchsvoll. Glaubwürde Zeugen haben mir berichtet, dass er selbst beim Anblick des Taj Mahal herzhaft gegähnt haben soll. Panik steigt in mir auf. Falckenstein jemandem präsentieren, der schon an der Copacabana war? Das olympische Feuer von Schilksee mit blumigen Worten neu entfachen, wenn er gerade erst aus Peking zurückkommt? Den Kanal als meistbefahrene Wasserstraße der Welt anpreisen, wo seine Geschichte vom unfreiwilligen Bad im Sueskanal auf keiner Party fehlen darf? Den alten botanischen Garten besuchen, wo seine letzte Paddeltour durch den Amazonas ging, Krokodilzahnabdrücke im Gesäß inklusive? Oder gar ins Kunstmuseum mit jemandem gehen, der Jahreskarten von der Tate Gallery und dem Louvre besitzt und beklagt, dass er dort jeweils nur einmal im Monat hin käme? Die Existenz des Schlosses verheimliche ich da lieber ganz.
Schweißperlen stehen mir auf der Stirn, als ich ihn am ZOB vom Kielius abhole. Doch er lächelt nur und weist in Richtung Norwegenterminal: „Sind diese riesigen Pötte öfters hier?“ Ich nicke. „Täglich“. Er ist sichtlich beeindruckt. Ich bleibe noch skeptisch, wähle aber, den Anfangserfolg ausnutzend, für die Weiterfahrt eine Strecke direkt am Wasser. Schwedenkai und Ostseekai sind voll belegt. Ein Lächeln fliegt über sein Gesicht. Ich schöpfe mehr und mehr Mut. Anerkennendes Nicken an der Schleusenanlage. Ungläubiges Starren auf das zurückgewiesene Portemonnaie beim Einsteigen auf die Kanalfähre und ein herzhafter Biss in eine Kieler Sprotte inklusive Kopf. Wir sitzen danach noch lange am Hindenburgufer, die Kräne fest im Blick und vertieft in Erinnerungen von alten Fischer-Price-Bauten.
Doch am Ende des Tages macht mich so viel Erfolg übermütig. Beim Weg zurück in die Innenstadt gestehe ich ihm das Schloss. Da bleibt er stehen, legt seinen Kopf zur Seite und mustert den Bau eindringlich. Ich denke schon, die Schläfrigkeit nach dem Genuss einiger Gläser Wein hätte ihn übermannt. Doch dann spricht er. Nur ein Wort ist es: „Dezent“.
Da weiß ich, er hat die melancholische Ironie dieser Stadt verstanden.
Zum Abschied verspricht er wiederzukommen. Und ich bin mir sicher, dass er es auch tun wird. Es gibt noch so viel zu entdecken. Dann werde ich ihm auch beichten, dass im Bootshafen nur noch zur Kieler Woche ein paar Optis liegen, die Holstenbrücke einzig ein schmales Rohr überspannt, die Klappbrücke nicht immer klappt… und die Kieler Sprotten eigentlich aus Eckernförde kommen.
Euer und Ihr
Caulius