Kieler Nachrichten (INKIEL) 11.10.2013
Caulius und die Dunkelheit
Allmählich fallen die herbstlichen Temperaturen in Kiel auf fröstelndes Juni-Niveau, die Fördedampfer wechseln zeitnah in das abgespeckte Winterdreieck Möltenort, Friedrichsort, Laboe und das Tageslicht schafft es nur noch mühsam über die Mittagszeit. Doch Depression muss nicht sein. Gerade auch im Dunkeln entfaltet Kiel seinen ganz eigenen Reiz.
Der Sternenhimmel allerdings verbreitet zwischen Fernsehturm und KiWi-Tower nur eine eingeschränkte Romantik. Mehr als den Großen Wagen gibt es nicht zu sehen. Nur der ein oder andere Sternenfreund mag an solchen klaren Abendenden plötzlich Rönne für sich entdecken.
Aber warum immer nach oben schauen, wenn sich der Zauber der Nacht direkt vor einem entfaltet. So zum Beispiel am Hindenburgufer beim Blick auf das Kraftwerk. Mit der richtigen Beleuchtung kann sogar dieser Betonkoloss als Hintergrund für einen Heiratsantrag dienen. Aber vor allem das seltsame Lichtmuster in seiner Nähe verwirrt Unkundige. Für einige ist es ein auseinandergefallenes Strichmännchen, für andere ein erschreckend eindimensionales Malen nach Zahlen. Wer allerdings das Winkelalphabet beherrscht (und welcher Kieler tut das nicht), der erkennt hierin die wahre Bedeutung: „Seefahrer, denk an die Sirenen. Ahoi!“. Zumindest kann man Auswärtigen gegenüber beim Blick auf die Installation so tun, als könne man das lesen. Dann aber bitte bei der Nachfrage, welche Sirenen denn bitteschön gemeint seien, nicht schwächeln. Auf das Nena-Konzert von der letzten Kieler Woche zu verweisen wäre zu platt. Ein einfaches „Homer…?“ dürfte zum Nachweis der Bildungsbürgerschaft voll und ganz ausreichen.
Selbst die Hochhäuser in Mettenhof werden des Nachts übrigens zu beliebten Ausflugsorten. Eignen sie sich doch nicht nur für Treppenhausläufe, sondern sind ideal für Wohnhaus-Bingo. Die Spieler suchen sich möglichst gleich gebaute Gebäude aus und bei wem als erstes alle Wohnungslichter in einer Linie waagerecht oder senkrecht erlöschen, der gewinnt (für Frühaufsteher gibt es auch die Variante mit dem Anschalten der Beleuchtung).
Absolutes Highlight des Abends ist jedoch der Blick von der Gablenzbrücke über Bahnhof und Hörn. Ein- und ausfahrende Züge werden von hier zu Lichtboten ferner Zivilisationen (in Eckernförde oder auch Felde). Das Willy-Brandt-Ufer erstrahlt schöner, als es Herr Schmid in den 90er Jahren je erträumt haben mag und der Rathausturm thront großstädtisch über allem. Einfach schön – und das CAP kann man sich ja wegdenken.
Dass Kiel Trendsetter ist und ihm die Lebensmittelläden beim Einläuten der Weihnachtszeit nichts vormachen, das zeigte sich dieses Jahr schon mitten im September, als plötzlich auf dem Bootshafen ein Weihnachtsbaum des Nachtens durch hunderte Lämpchen zu funkeln begann. Von offizieller Seite wurde dieser Frühschuss in den lauen Spätsommer hinein zwar später als „Probe“ heruntergespielt. Aber der Versuch, hier Kiel (eine mit frischen Temperaturen regelmäßig gesegnete Ortschaft) marketingmäßig schon zu einem ganzjahres Winter-Wonder-Land aufzubauen ist erkennbar.
Aufwändig auch die vor allem am Wochenende betriebene Polizeilichter-Installation in der Bergstraße. Wie sich dieses flackernde Blau neckisch in den umliegenden Häuserfassaden widerspiegelt lässt jedem umherstehenden Passanten warm ums Herz werden.
Doch Spaß mal kurz beiseite. Gehen Sie in dieser Zeit nach Anbruch der Dunkelheit mal an eine beliebige Stelle direkt an der Kieler Förde, mag es Schilksee, Falckensteiner Strand, Kiellinie, Dietrichsdorf, Heikendorf oder Laboe sein. Und wenn Ihnen dann nicht automatisch ein „Wir wohnen schon schön hier“ entfährt, dann stimmt etwas mit Ihnen nicht. Natürlich könnte das auch ein Küstengänger in Rio, New York oder Eckernförde spontan äußern - aber eben auch mit voller Inbrunst der Überzeugung wir Kieler.
Wir wohnen wirklich wirklich schön hier!
Findet Euer und Ihr
Caulius