Kieler Nachrichten (INKIEL) 07. Mai 2010

Caulius und das Fahrradfahren

Laut ADFC Fahrradklimatest 2005 gehört Kiel zu den Orten, wo das Fahrradfahren am meisten Spaß macht. Die einschlägigen Erfahrungen von Caulius mit dieser vermeintlich positiven Gesamtsituation auf zwei Rädern liegen jedoch weit zurück. Ich bin penetranter Fußgänger, der Radfahrer gerne mal böse anguckt, wenn sie an Fußgängerüberwegen nicht halten. Zu meiner Frustration lächeln die so Angestarrten meist nur freundlich zurück. So gemein können Kieler sein.

Doch „kenne deinen Feind“ - und so habe ich diesen Frühling mein altes Rad aus einem Winkel des Kellers herausgeholt, zu dessen Besichtigung sich letztens noch das Archäologische Institut der CAU angemeldet hatte. Abstauben, Roststellen notdürftig mit buntem Kreppband abgeklebt und Scheinwerfer auf Stellung „Gestehen Sie“ ausgerichtet – los ging es. Leider wohnt Caulius auf 36 Metern über dem Meeresspiegel, so dass bei jeder Fahrt in die Innenstadt zwangsweise die Bergstraße, Brunswiker Straße oder die Reventlouallee als Damoklesschwert über der Rückfahrt hängt. Allesamt bestimmt Bergwertungen der dritten Kategorie, an denen sich auch ein Frank Zabel die Zähne ausbeißen würde. Ideal für einen Ausreißversuch Armstrong gegen Ulrich.

Als gewohnter Fußgänger wäre es theoretisch für mich kein Problem, das kleine Stück zu schieben. Doch da kommt der Stolz durch, wohnen doch einige Kollegen in der Nähe.

Ganz ohne Doping geht es also auch bei mir nicht den „Col de Dreiecksplatz“ hinauf und so habe ich mir ein Elektrofahrrad gekauft. Von selbst fährt das zwar nicht, aber es unterstützt einen beim Treten so kraftvoll, dass ich im oberen Drittel rechtzeitig runterbremsen muss, um nicht an der Bergkuppe im vollen Flug in die frisch errichtete Überdachung der Arkaden zu schießen. Das ideale Fortbewegungsmittel, dachte ich. Doch dann sahen Freunde, Kollegen und Verwandte das Gefährt und der Spaß hatte ein jähes Ende. Zunächst erkundigte man sich noch mitfühlend nach meinem Gesundheitszustand, doch dann kam die Ächtung: Ich sei doch noch kein Großvater, das wäre typisch für einen Faulenzer und außerdem würde die fehlende Querstange des Gefährts meine weibliche Seite unterstreichen. Mit Letzterem konnte ich leben, war mir doch schon als Jugendlicher unklar gewesen, weshalb echte Männer diese Verstrebung brauchten, die bei all zu schwungvollem Aufstieg und Verfehlen des Sattels sehr nachhaltige Schmerzen verursachte.

Die übrigen Sprüche trafen mich jedoch sehr. Schließlich beschwert sich doch auch keiner bei einem Autofahrer, dass er doch viel lieber Kettcar fahren sollte. Und Motorradfahrer sind per se coole Typen, obwohl die doch auch nichts anderes bewegen als Fahrräder mit sehr starkem Hilfsmotor. Die können ja nicht einmal treten.

Doch Autosuggestion half. Und nach einigen Tagen des In-Mich-Ruhens war ich überzeugt: Die sind alle nur neidisch. Seitdem macht es mir richtig Spaß, mich bei rauem Gegenwind am Hindenburgufer an einen schwitzenden Normal-Radfahrer heranzupirschen und ihm freundlich zuzunicken. Aber dann, wenn ein beruhigtes „Ah, ein Leidensgenosse“ in seinem Gesichtsausdruck erscheint, dann aktiviere ich mit einer fast unmerklichen Bewegung meines kleinen Fingers den Elektromotor und brause mit 25 km/h und entspannter Haltung davon. Ich brauche mich nicht umzudrehen, um seinen neidischen Blick auf mir zu spüren, und mein Tag ist gerettet.

Der ADFC hat recht. Kiel ist eine wunderbare Radfahrerstadt.

Findet

Euer und Ihr

Caulius