Kieler Nachrichten (Teil INKIEL) 02.05.2014

Caulius und die blaue Linie

Kiel ist um eine Attraktion reicher. Mag sie auch nicht als solches geplant gewesen sein, so sollen schon jetzt Reiseveranstalter aus ganz Europa sie in ihr Programm aufgenommen haben: Die blaue Linie von Kiel. Immer wieder wurde ich in den letzten Tagen von irritierten Touristen beim Einkaufsbummel gefragt: „Can you tell me where she is – the famous blue line in Kiel“?

Mit atemberaubender Ästhetik zieht sie sie sich durch die schönste Stadt der Welt, von der Hörnbrücke bis hin zum Ostseeterminal und sie ist auf dem besten Wege schon bald als „Blaues Wunder“ zum Weltkulturerbe zu gehören. In den Anfangstagen noch belächelt, sind sich inzwischen Kunstexperten einig: Solche Linienführungen und Formen gibt es nur in Kiel. Wie sie sich so um Aufsteller schlängelt, zärtlich an Sport Knutzen schmiegt und gewagt provozierend beim Alten Markt abknickt – als hätte Picasso persönlich in seiner eigenen blauen Periode den Pinsel geschwungen.

Dabei war die Grundidee dieses Gesamtkunstwerkes eine ganz profane. Der gemeine Kreuzfahrer sollte davon abgehalten werden seinen inneren Trieben nachzugeben und direkt am Wasser vom Bahnhof zum Kreuzfahrtterminal zu gehen. Auch sollte ihm die Angst genommen werden, sich bei der Wartezeit auf die Abfahrt des Schiffs in der Kieler Innenstadt zu verlaufen – als wenn das möglich wäre. Allerdings fehlt hierfür noch die Richtungsanzeige. Einmal der blauen Linie in die falsche Richtung gefolgt und man findet sich im Regionalexpress nach Neumünster wieder, statt auf der Ostseekreuzfahrt. Spätestens auf dem Großflecken würde beim Vergleich mit dem Schlossplatz von St. Petersburg die Verwechslung auffallen.

Der Tagespresse musste ich mit Schrecken entnehmen, dass es Überlegungen gibt, dem Kieler Unikat mit dem Kärcher zu Leibe zu rücken. Okay, man kann auf die verwegene Idee kommen, den Touristen nicht nur Einkaufsstraßen, sondern auch Sehenswürdigkeiten wie Rathaus, Opernhaus, Bootshafen und Kleiner Kiel mit Ratsdienergarten zu zeigen. Angeblich sollen aber die Reedereien dagegen gewesen sein – zu groß ist die Gefahr, dass dann massenhaft noch kurzfristig die Kreuzfahrt storniert und auf eine Woche Kiel-Urlaub umgebucht wird. Aber bei der Mona Lisa kam doch auch keiner nach der Veröffentlichung des Bildes auf die Idee noch Korrekturen an der Nase vorzunehmen. Welch ein Frevel. Alles Kunstbanausen.

Viel mehr wäre ich dafür, auch andere Stadtteile in das Werk zu integrieren. Gaarden hat bekanntlich schon Ansprüche geäußert. Und da Kiel bekanntlich fast überall schön ist (Kieler Losung: „Es gibt keine hässlichen Ecken in Kiel – man muss nur richtig hinsehen“), dürften sich bald überall Linien der buntesten Farben schlängeln. Nicht auszuschließen, dass spätestens dann Eintrittsgelder an den wichtigsten Einfahrtsmöglichkeiten von Kiel erhoben werden. Aber dem Kieler bleibt die Gewissheit, echte Kunst zum Anfassen vor der Haustür zu haben – zumindest wenn er in der Holstenstraße auf die Knie geht. Spätestens dann hat sich auch die ursprüngliche Idee der Malerei realisiert: Kreuzfahrtkunden buchen schon Monate vor ihrem Kielbesuch die Führung über die blaue Linie und erkennen Kiel als das, was es ist: Ein echtes Highlight ihrer Reise.

Für den Erhalt des Werks so, wie es sich der Künstler gedacht hat, ist

Euer und Ihr

Caulius