Kieler Nachrichten (Teil INKIEL) 09.11.2012

Caulius und das Premieren-Abo

Nun ist sie also wieder da, die kalte Jahreszeit. Und auch der durch den frischen Sommer gestählte Kieler sucht sich dann gerne mal ein warmes Plätzchen im Inneren eines Gebäudes. Was bietet sich da mehr an, als sein kulturelles Gewissen zu entdecken und endlich einmal Museen, Theater und Opernhaus in die nähere Auswahl zu ziehen. Nirgends ist es so einfach als gebildeter Mensch zu erscheinen, als dort. Eine Universität zu betreten, sagt nichts aus. Aber verbringen Sie mal zwei Stunden in einer italienischen Oper mit deutschen Obertiteln, und das Ansehen der Kollegen, Freunde und des Bekanntenkreises ist einem gewiss - wenn das mal keine effektiv genutzten 120 Minuten sind. Tipp allerdings: Den gesamten Ring von Wagner zu besuchen, wie er vor einigen Jahren in Kiel aufgeführt wurde, erhöht das Ansehen nicht proportional zum Zeitaufwand. Da ist Optimierungspotential.

Caulius ist nun von fast null auf hundert in die Szene eingestiegen und hat sich ein Premieren-Abo für das Kieler Schauspielhaus geholt. Natürlich hat er es rumerzählt und alle, wirklich ausnahmslos alle, sind vor Ehrfurcht erstarrt. Caulius ist jetzt Teil des engsten Kulturzirkels von Kiel. Sieben Abreißkarten für unter 100 Euro mit einem Platz ganz rechts oben machen ihn zum Kulturkenner und Insider. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein kulturloser Bekannter ohne Smartphone eine Frage zu einer Oper, einem Theaterstück oder den Bayreuther Festspielen hat. Ich lächle dann den Frager etwas überheblich an und mit einem leichten Augenaufschlag wiege ich wissend den Kopf, signalisierend, dass eine solch banale Frage doch wohl nicht ernst gemeint sein könne. Meist verabschiedet sich der Bekannte dann in tiefer Demut, wissend, für einen ganz kurzen Moment mit echter Kulturbeflissenheit in Berührung gekommen zu sein.

Inzwischen sind die ersten beiden Premieren vorbei und ganz leichte Ernüchterung macht sich bei Caulius breit. War meine Vorstellung doch, dass so eine Premierenfeier wie ein Geheimzirkeltreffen stattfinden würde. Ich war darauf eingestellt, mit irgendeinem erhabenen Ritual von dem Kreis der Klugen und Gebildeten aufgenommen zu werden. Wochenlang hatte ich mich vor der Erstaufführung von „Wie es Euch gefällt“ auf Shakespeare-Fragen vorbereitet, so dass ich bei Toelkes „Der große Preis“ gesicherter Sieger in diesem Fachgebiet gewesen wäre. Meine Frau berichtigte mich nicht nur einmal, dass sie nicht „Rosalind“ heißen würde. Dass ich dann in den Tagen vor der Aufführung von „Orlando“ im Traum seufzend flüsterte, beunruhigte sie sogar noch mehr.

Als dann der große Tag kam, der gute Hochzeitsanzug mal wieder aufgebügelt und mit fast allen geschlossenen Hosenknöpfen angezogen war, da wies ich meine Frau (die Dank meiner Fürsorge auch ein Premieren-Abo mit Sitzplatz neben mir erwerben durfte) noch einmal eindringlich darauf hin, zunächst noch den Intendanten des Theaters Kiel mit „Herr Karasek“ anzusprechen. Ich war überzeugt davon, dass auch er nach der ersten herzlichen Begrüßung erwarten würde, dass wir nur noch vom „dem Daniel“ reden würden.

Es kam jedoch anders. Eigentlich war es ein normaler Theaterabend, wie ich ihn aus der Schulzeit noch kannte. Viele fremde Menschen, die auch nach dem letzten Vorhang noch fremde Menschen waren. Kein Aufnahmeritual, kein Buddytum mit Daniel, nicht einmal eine kurze Ansage mit meinem Namen zu Beginn der Aufführung. Der Abend war zwar trotzdem schön, da das Stück witzig und verständlich war, meine Frau sich wieder über die Anrede mit ihrem echten Namen freute und wir einige Schauspieler und den Intendanten zumindest aus fast nächster Nähe im Foyer sehen konnten. Vor allem aber ahnt ja niemand in meinem Freundeskreis, dass ein Theaterabend so einfach wie ein Kinobesuch ist – zwar ohne Popcorn, aber in echtem 3D und in unserem Fall sogar billiger. Bitte sagen Sie es auch nicht weiter.

Und falls ganz aktuell die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel noch eine Honorarprofessur mit Schwerpunkt Shakespeare ausgeschrieben hat, ich hätte zwischen den Premieren noch Zeit.

Melden Sie sich einfach bei

Eurem und Ihrem

Caulius