Kieler Nachrichten 05.04.2013 (Teil INKIEL S. 13)

Caulius im Bus

Seit dem 25. März haben wir in Kiel endlich zu Weltmetropolen wie Hamburg und Stuttgart aufgeschlossen. In den Tagen vorher war es vielleicht für viele Kieler das letzte Mal in ihrem Leben, dass sie bei einem Bus hinten eingestiegen sind. Nunmehr geht es vorne rein. Ausnahmen gibt es nur für Katastrophenfälle wie Kieler Woche, fünf Minuten Verspätung oder auch Einsteigen in der Nähe der Uni. Die von Skeptikern prognostizierten Verspätungen sind zum Glück bisher ausgeblieben. Aber ich ahne Schlimmes. Eine Idee hinter dem Projekt „Vorne Einsteigen“ ist ja auch, die Beziehung zur Busfahrerin bzw. dem Busfahrer zu intensivieren. Bisher bleibt es in der Regel bei einem schlichten „Morgen“ oder „Moin“. Doch die Welt kennt die unterkühlten Norddeutschen. Wir sind am Anfang zwar schwer zu knacken, doch wenn wir erst einmal warm miteinander werden, dann entsteht eine Beziehung fürs Leben. Gerade bei den Berufspendlern wird es meines Erachtens drei bis sechs Monate dauern, dann sind die ersten Bindungen zum Lenkerpersonal geknüpft. Und dann bleibt es beim Einsteigen nicht mehr bei müde hingehauchten Einzelworten. Rechnen Sie mal durch. Pro Haltestelle drei bis vier Personen, die sich mit dem Fahrer als Freund dann plötzlich „nur mal kurz“ über Prostataprobleme, Beziehungsfreuden und Wetterverhältnisse austauschen möchten. Das ist zwar nett, führt aber spätestens ab Herbst zum Chaos.

Apropos Busfahren. Hatte ich doch am Tag nach der Einführung der neuen Einstieg-Regelung das zweifelhafte Vergnügen, zwei weiblichen Jugendlichen ungewollt zuhören zu müssen. Gar Unglaubliches musste ich da vernehmen: „Kiel ist so runtergekommen … was sollst Du hier auch zeigen? Den Jungen mit der Zeitung? Hamburg hat alles …“.

Herr Richter, Sie verstehen doch, dass ich das nicht so stehen lassen konnte. Ob ich da nicht überreagiert habe, fragen Sie, als ich die beiden Mädels an den Ohren gegriffen habe, sie vom Hörngelände und Museumshafen, über den neuen Bahnhofsvorplatz und Rathausturm, über Uferwege, über den neu angelegten Schlossgarten, über die botanischen Gärten und durch die Holstenstraße, über Schrevenpark und Bootshafen, über Kiellinie und Projensdorfer Gehölz bis hin zum Kanal und Thiessenkai geschleift habe? Überreagiert? Ich bitte Sie, Herr Richter. Das hätte doch jeder Kieler in meiner Situation gemacht!

So hätte ich es machen sollen. Aber ich war zu feige - und musste zur Arbeit. Was soll denn Hamburg haben, was Kiel nicht tausendmal besser hat? Diese Stadt mit Smog, Enge und Gedränge, täglichem Verkehrschaos und einem kleinen Rinnsal namens Elbe? Zum Baden im Meer fährt der Hamburger doch über eine Stunde. Was dort an Miete in der Innenstadt bezahlt wird, dafür kann man in Kiel kaufen. Und unsere Bauvorhaben werden auch mal fertig … naja, zumindest wenn sie denn mal begonnen werden.

Jetzt Spaß beiseite. Ich bin gerne mal in Hamburg, besuche in der Elbmetropole gerne Freunde, gehe gerne bei den Hanseaten ins Musical und shoppe auch gerne mal in der zweitgrößten Stadt Deutschlands. Aber ich komme am Ende des Tages sehr gerne wieder zurück nach Kiel. Wir haben so viel mehr als einen bronzenen Zeitungsjungen (der putzig ist, keine Frage) und mir fällt tatsächlich nicht viel ein, was Hamburg noch lebenswerter machen sollte als Kiel. Okay, beim Fußball ist noch Entwicklungspotential. Aber sonst? Dafür sind hier die Wege kurz, die Strandspaziergänge lang, die Mietpreise gering(er) und vorne einsteigen dürfen wir jetzt auch müssen.

Ich fühle mich in Kiel sehr wohl. Ehrlich und ernsthaft!

Machen die denn in der Schule nur noch Klassenausflüge nach Molfsee und Amrum? Lehrer Kiels, meldet Euch. Ich zeige ein schönes und aufregendes Kiel – wenn es sein muss auch einschließlich Zeitungsjungen.

Ruf mich an!

Euer und Ihr

Caulius