Kieler Nachrichten (INKIEL) 16.09.2011

Caulius und das Rathaus

Ich sag dann mal ganz herzlichen Glückwunsch und stoße mit Freude an auf die nächsten Hundert, liebes Kieler Rathaus.

Okay, eigentlich war es ja der 12. November 1911, als der Kaiser Wilhelm II bei Dir war und Dich damit ganz offiziell auf die Weltbühne gebracht hat. Und vorzeitige Gratulationen sollen bekanntlich Unglück bringen. Aber Du feierst ja schon selber seit mehreren Monaten u. a. im Warleberger Hof. Da tun meine Glückwünsche jetzt auch nichts mehr zur Sache.

Hartnäckig hält sich ja das Gerücht, dass in Dir die Spieler vom THW wohnen. Wie die Königsfamilie aus dem Buckingham Palace gucken die einmal im Jahr von Deinem Balkon hinunter auf ihr Fan-Volk (2011 war das, glaube ich, wegen Regens ausgefallen). Und praktisch wäre es natürlich, ist doch die Sparkassen Arena nur wenige Meter von Dir entfernt. Herr Albig dürfte komisch gucken, wenn ihm morgens auf Deinen ehrwürdigen Fluren Herr Zeitz oder Herr Omeyer mit geschultertem Handtuch und Zahnbürste im Mund begegnen würden. Daher verrate ich an dieser Stelle eines Deiner Geheimnisse: Die THW-Spieler wohnen ganz woanders!

An Deiner Verköstigung kann das aber nicht liegen. Stets werde ich in Deiner Kantine auf angenehme Weise satt. Kein Wunder, legst Du doch so viel Fantasie darein, selbst Standardgerichte mit allerlei Attributen schmackhaft zu machen. Gemüse ist bei Dir nicht einfach Gemüse, sondern „Fitnessgemüse“. Kasselerbraten ist laut der Speisekarte stets „zart und mild“ und das Beefhacksteak ist aus „sehr magerem Rindfleisch – frisch aus der Pfanne“ – für mich ist das Poesie für den Teller.

Was habe ich schon für schöne Momente in Dir verbracht. Die Aufführung von „Der kleine Prinz“ in Deinem Innenhof gehört zum festen Romantik-Programmpunkt für frisch Verliebte, zumindest wenn Amor im Sommer zuschlägt.

Du hast mich zu dem gemacht, was ich heute bin: Einem Kieler. Vorher war ich doch nur ein Heikendorfer, ein Auswärtiger, ein Zugereister, ein Tourist. Und Du hast mich meine Welt mit neuen Augen wahrnehmen lassen, neue Perspektiven eröffnet. Staunend stand ich einst auf Deinem Turm und da sah ich es zum ersten Mal mit eigenen Augen: Die Kieler Altstadt ist doch eine Insel. Neid auf Lübeck war völlig unangebracht. Danke für diese Erweckung.

Überhaupt Dein Turm. Auf die Länge kommt es bei einem 100-Jährgen sicherlich nicht an, aber 106 Meter sind schon stattlich. Und dann sieht er auch noch aus wie der Campanile in Venedig. Seit ich das weiß, fühle ich mich bei jedem städtischen Flohmarkt wie auf dem Markusplatz, insbesondere wenn der Regen mal wieder kleine Wellen an meine Füße spült. Kiel ist eben die Stadt der Liebe unter dem Regenschirm.

Was mich ehrlich für Dich freut ist, dass nun endlich die Sache mit Deinem Namen geklärt ist. Schließlich stand vor Deinem Bau das alte Rathaus beim Alten Markt, von dem heute allerdings nur noch ein zugeschüttetes Kellergewölbe erhalten ist. Daher warst Du ganz offiziell seit 1911 unser „Neues Rathaus“. Blöd nur, dass es seit einigen Jahren ein Hochstapler-Haus in der Andreas-Gayk-Straße gibt, das sich auch „Neues Rathaus“ nennt, sogar mit dicken Lettern an die Wand genagelt. Unverschämtheit. War doch das neue Rathaus, das das alte Rathaus ersetzt hat, eigentlich das neue Rathaus und das „Neue Rathaus“ ist eher das neueste Rathaus. Aber zu Deinem 100. Geburtstag hat man nach meinen Informationen wohl ein Einsehen gehabt und Du bist nun endlich unser ehrenwertes und einziges „Altes Rathaus“. Echt Cool. Oder sollte das eine Geburtstagsüberraschung der Kieler sein? Dann hat nichts gesagt und wünscht nur das Allerbeste zum Wiegenfeste

Dein

Caulius